Gleich einem rotierenden Flugobjekt ist eine Figur auf die Fassade getroffen und sitzt nun fest ... im Hier und Jetzt angekommen. Die Figur interagiert mit dem Gebäudekörper, scheint sich irgendwie hinein gefräst oder mit ihm verzahnt zu haben und lenkt gleich einem Piktogramm die Aufmerksamkeit der Passantinnen und Passanten auf sich. Bei näherer Betrachtung ist die regelmäßige, scheinbar geschlossene Figur als ein surreal anmutendes Gebilde auszumachen, dessen Umrisslinie durch weibliche Brüste – ästhetisch geformt wie jene von Avatarinnen – strukturiert wird. Sie ziehen eine Grenze zwischen einem in farbneutralem Weiß gehaltenen Inneren und dem vom Zahn der Zeit und der Örtlichkeit geprägten Äußeren, der Fassade der Galerie Freihausgasse. Gleichzeitig bilden sie eine Kippfigur nach innen und außen. Vom Künstler Hofstetter Kurt als „Ereignishorizont der Ordnung_frontal“ definiert, kann es jene Zeit- und Örtlichkeit bzw. jener Horizont sein, wo Ereignisse im Inneren existentiell das Äußere voraussetzen und umgekehrt.
Weibliche Brüste senden Botschaften
Wird das von den Brüsten begrenzte innere Weiße als Metapher für den dahinter liegenden „White Cube“ der Galerie gedeutet, einer Örtlichkeit, an der Kunst präsentiert wird, so kann die umgebende Fassade als komplementär betrachtet werden. Sie ist hier eingebettet in das gesellschaftspolitische und kulturelle Gefüge der Stadt Villach und ihrer Menschen. Die Brüste einer Frau und die Form ihrer Präsentation senden Botschaften. Die weiblichen Wölbungen der Brüste, die in der gesamten Menschheits- und Kulturgeschichte eine große Faszination ausüben, werden zur Metapher für Attraktion, Nahrung und Ordnung. Hofstetter Kurt schreibt den weiblichen Brüsten eine elementare ordnende Funktion zu, die essentiell für die Menschheit ist, da sie direkt und indirekt deren Fortbestand regelt als auch das Zusammenleben ordnet. Aus evolutionsbiologischer und anthropologischer Sicht haben weibliche Brüste einmal die biologische Funktion, Säuglinge mit Muttermilch zu versorgen.
„Kunst als Membran des White Cube, ein Ereignishorizont, der die Blicke krümmt.“ Hofstetter Kurt
Ihre Hauptfunktion liegt jedoch darin, Männer als mögliche Sexualpartner anzuziehen. Dass Kunst auch essentielle Nahrung zur Entwicklung der Menschheit und ihrer Kultur ist, steht außer Zweifel. Jetzt muss nur noch der „Ereignishorizont der Ordnung“ überschritten werden, um – diesseits und jenseits – zu Informationen zu gelangen. Der Besucher muss in die Galerie hineingehen, um Neues zu erfahren. Auch die Kunst kann nicht im „White Cube“ isoliert verweilen, sondern benötigt fortwährend Inspiration aus dem gesellschaftlichen Gesamtkontext, dem Außen.
Abstrakte Geometrie als Inspiration
Für Hofstetter Kurt ist sehr oft die Geometrie Inspirationsquelle seines künstlerischen Schaffens, das stets um die Themen Parallelität und Kreislauf, „Inplusion“ und Explosion sowie Licht und Zeit kreist. Dabei ist die Reduktion auf das Elementare wesentlich. Zudem greift er nicht nur auf bereits vorhandene Erkenntnisse und Konzepte zurück, sondern entwickelt immer wieder eine eigene und originäre Basis, um
unbekannte Bereiche zu erschließen. Der Kunstfingur „Am Ereignishorizont der Ordnung_frontal“ liegt eine der Konstruktionen des irratio nalen Verhältnisses Phi bzw. des Goldenen Schnittes zugrunde, die Hofstetter Kurt 2005 entwickelte. Diese überraschend einfache Konstruktion in fünf Schritten mit Zirkel und Lineal wurde mittlerweile international in die Lehre der Geometrie aufgenommen. Indem Hofstetter Kurt spielerisch diese Konstruktion mit Kreisen erweitert, deren Schnittpunkte ein unregelmäßiges Sechseck ergeben, von dem aus mehrere Kreisbögen zueinander in Beziehung gebracht werden, entsteht eine seiner Kunstfiguren. Abstrakte Geometrie wird figürlich mit der Anmut einer paläolithischen Statuette, bestehend aus zwei „Beinchen und Unterleib“, auf dem eine über dimensionierte Form, die einer Glühbirne ähnelt, sitzt. Folgt man den weiteren Kreislinien, die einander wieder in den Schnittpunkten treffen, bekommt das Figürchen wohlgeformte überdimensionierte Brüste.
Die Assoziation zu einer Fruchtbarkeitsgöttin oder Venus liegt nahe. Hofstetter Kurt bezeichnet sie jedoch als Aurora. Ist sie ein Synonym für die Leuchterscheinung geladener Teilchen des Sonnenwindes? Steht sie für die römische Göttin der Morgenröte? Handelt es sich um eine verbale weibliche Ableitung von aurum (lat. Gold) in Anlehnung an den Goldenen Schnitt? Es überrascht nicht, dass sich dieser in der Figur mehrmals fi nde t. Wird die Figur ohne „Unterleib“ und „Beinchen“ sukzessive zweimal kopiert, jeweils um 120 Grad rotiert und werden einige Binnenlinien gelöscht, entsteht das surreal anmutende graphi-sche Gebilde „Am Ereignishorizont der Ordnung_frontal“, das die Fassade der Galerie F reihausgasse attraktiert. Text © Barbara Doser, 2016