Am 29.Mai des Jahres 1864 begann ein neues Kapitel in der Geschichte der Stadt, und allen, die damals die festliche Eröffnung der Bahnlinie zwischen Klagenfurt und Villach erlebten, war bewusst, dass mit der dampfschnaubenden Lokomotive des ersten Sonderzuges eine mit großen Erwartungen verbundene Zeit in Villach Einzug hielt.
Der Präsident der Südbahngesellschaft, Graf Zichy, hielt die Festansprache, und Bürgermeister Josef Kassin sprach bewegte Begrüßungsworte:
„Als Bürgermeister erlaube ich mir im Verein mit den hier versammelten Gemeindevertretern, die hohen Repräsentanten des heutigen Eröffnungszuges ehrfurchtsvoll zu begrüßen und diesen neuen Eilboten willkommen zu heißen, indem durch diese nunmehrige Eröffnung der Bahn ein lang ersehnter Wunsch zur Wahrheit wurde und die vielfältigen daran geknüpften Hoffnungen verwirklicht werden sollen. Möge diese neugeschaffene Schienenstraße die erstarrte Industrie unseres Landes wieder heben, dem Kommerz und Handel das frühere Gedeihen verleihen und dem Gewerbestand jenen Segen bringen, nach welchem der Bürger und Handwerker mit seinem Fleiße so sehnsuchtsvoll strebt...“
Mit zahlreichen Reden und Gegenreden, mit vielen Hochrufen auf seine Majestät Kaiser Franz Joseph I., dessen Wunsch für die endliche Verwirklichung des Eisenbahnprojektes maßgeblich gewesen sei, und mit dem Donner der Salutkanonen wurde ein zwei Tage währendes Fest eröffnet, wie es die Stadt nie zuvor erlebt hatte.
Durch viele Jahre hatten die Hoffnungen und Befürchtungen, die mit dem revolutionär neuen Verkehrsmittel verbunden waren, die Bevölkerung sehr beschäftigt. Der Gemeindeausschuss hatte sich bereits am 16. Juni 1851 mit der Eisenbahnfrage befasst und beschlossen, sich im Landtag für eine Trasse einzusetzen, die über St.Veit und Feldkirchen nach Villach führen sollte. Obwohl sich die Befürworter für die Bahn ausgesprochen hatten, war die Sorge vor der Eisenbahn und ihren wirtschaftlichen Folgen deutlich, da immerhin 8 von 18 Gemeinderäten dagegen gestimmt hatten.
Als nach Jahren der Diskussion der Bahnbau in Kärnten tatsächlich aufgenommen werden sollte, hatten sich die Voraussetzungen entschieden zugunsten einer Eisenbahn über Klagenfurt nach Marburg verändert, da dort bereits der Anschluss an die Bahnlinie Triest-Graz-Wien möglich war. Diese Kärntner Bahn sollte von einer Kapitalgesellschaft errichtet werden, an der sich auch die Stadt Villach, Unternehmer und Gewerbetreibende beteiligten. Nach dem Spatenstich am 18. Juli 1857 in Klagenfurt schritt man vorerst an den Bau des Abschnitts nach Marburg, der sich unerwartet schwierig und teuer erwies, so dass schon 1858 das Projekt zu scheitern drohte. Die Initiatoren mussten schließlich froh sein, den Weiterbau einem Konsortium übertragen zu können, das von den Banken der Familie Rothschild bestimmt war. Diese private „Südbahngesellschaft“ nahm nach mehrfachen Interventionen der österreichischen Regierung 1861 die Baumaßnahmen wieder auf. 1862 wurde der Streckenabschnitt Villach-Klagenfurt begonnen, im Mai 1863 konnte die Strecke Marburg-Klagenfurt eröffnet werden, und ein Jahr später hatte schließlich Villach den Anschluss an das Eisenbahnnetz erlangt, das der Stadt wieder jene hervorragende Verkehrsbedeutung bringen sollte, die sie einst im Mittelalter und in der Frühneuzeit besessen hatte.
Seit dem 16.Jahrhundert hatten Stagnation und wirtschaftlicher Niedergang Villachs Geschick bestimmt, der Anschluss an die Bahn und der in den folgenden Jahren rasch entstehende Bahnknotenpunkt wurde von einem wirtschaftlichen Aufschwung begleitet, der jede vorhersehbare oder auch nur erhoffte Größenordnung übertraf. Zwischen 1850 und 1900 stieg die Einwohnerzahl von 2700 auf nahezu 10.000 an, ein Wachstum, das auch in den folgenden Jahrzehnten anhielt und das von heftiger Bautätigkeit begleitet wurde. Erst dadurch ist die Stadt über ihren mittelalterlichen Kern, die heutige „Altstadt“, hinaus gewachsen.
Auch die Bahnanlagen hatten an der Umgestaltung des Stadtbildes erheblichen Anteil. Der Südbahnhof von 1864, aus dem der Hauptbahnhof hervorgegangen ist, war vorerst ein Kopfbahnhof, an dem die Eisenbahn ihr Ende hatte. Für deren Anbindung wurde 1863/1864 die Bahnhofstraße angelegt. Auf das Bahnhofsgelände „blickte man mit Stolz“, da es das größte im Lande war. Mit einer Länge von etwa 1000 m enthielt es ein „Aufnahmsgebäude“ und eine drei Gleise überspannende „Einsteighalle“, weiters ein Beamtenwohnhaus für 10 Parteien, eine Lokomotivremise zur Unterbringung von 12 Maschinen samt einer Wasserstation, wo das Betriebswasser mittels Dampfpumpe aus einem 14 m tiefen Brunnen gehoben und in einen Hochbehälter gepumpt wurde. Kohle- und Güterschuppen, Montagegruben, Drehscheiben, ein Portalkran, eine Brückenwaage zum Abwiegen von Waggons und eine Verladerampe für Artillerie hatten im Bahnhofareal ihren Platz. Die Gebäude waren durchwegs auf Natursteinsockel in klinkerartiger Ziegelbauweise ausgeführt und sollen sehr ansehnlich gewirkt haben.
Mit der Eröffnung der „Kronprinz-Rudolfs-Bahn“ am 19.10.1868 war auch die von Villach ursprünglich bevorzugte Bahntrasse längs des Ossiacher Sees in die Steiermark verwirklicht. 1872 wurde die Eisenbahnbrücke über die Drau errichtet und der Rudolfsbahnhof (heute Westbahnhof) angelegt. Anders als die „Südbahn“, die bis 1923 privater Gesellschaftsbesitz blieb, war die Rudolfsbahn Eigentum der Staatsbahn und auch deshalb von größerer Bedeutung für die Stadt. 1873 war diese Linie bis Tarvis und von dort weiter nach Laibach betriebsfertig, 1879 wurde durch das Kanaltal der Anschluss an das italienische Bahnnetz an der einstigen Staatsgrenze bei Pontafel/Pontebba vollzogen.
Inzwischen war auch die „Südbahn“ drautalaufwärts weitergebaut worden, 1871 wurde die Linie Villach-Franzensfeste eröffnet. Die Karawankenbahn (1906) und die Tauernbahn nach Salzburg (1909) steigerten die Bedeutung Villachs als Eisenbahnstadt weiter. 1894 war mit der Gailtalbahn noch ein großes Lokalbahnprojekt verwirklicht worden, ein ähnliches Vorhaben im Gegendtal und die projektierte Schmalspurbahn von Villach nach Heiligengeist und weiter auf den Dobratsch sind dagegen unterblieben. Die gesamte Eisenbahnstruktur im Villacher Raum ist innerhalb eines halben Jahrhunderts vor dem Ersten Weltkrieg ausgebildet worden. Die enorme Verdichtung des Bahnnetzes hat auch in der Stadt zu umfangreicher bahnbezogener Bautätigkeit geführt.Der „Südbahnhof“ von 1864 hatte 1908 ausgedient und wurde durch einen repräsentativen Neubau abgelöst, der bis zur Bombenzerstörung 1944 bestand. Auch der Staatsbahnhof (Westbahnhof) wurde 1908 neu erbaut.
Die wichtige Funktion Villachs innerhalb des österreichischen Eisenbahnnetzes hatte dazu geführt, dass 1882 ein „Betriebsamt“ der Rudolfsbahn hier eingerichtet wurde. Daraus ist die Villacher Bundesbahn-Bereichsdirektion hervorgegangen. Den Erfolg, eine wichtige Bahnverwaltungsstelle hier am Ort zu haben, ließ man sich nicht wenig kosten, auch für die Bereitstellung von vielen Kanzleiräumen hatte vorerst die Stadt zu sorgen. Diese befanden sich vor allem in der Postgasse, bis um 1900, neuerlich unter finanzieller Beteiligung der Gemeinde, ein großes Direktionsgebäude in der „Schulstraße“ (10.-Oktober-Straße) errichtet wurde.ie ständige Ausweitung der Bahnanlagen bei gleichzeitigem Wachstum der Stadt wurde bald zum Problem. Besonders vor den Bahnhofneubauten von 1908 hatte sich Villach sehr bemüht, die mächtige Barriere der Bahnhof- und Gleisanlagen in eine stadtplanerisch weniger störende Richtung zu dirigieren. Sowohl von der Südbahn wie von der Staatsbahn waren allerdings kaum Zugeständnisse zu erreichen. Die mächtigen Organisationen dachten nicht daran, auf Entwicklungspläne der Stadt einzugehen. Von der Staatsbahn wurde mehrfach gedroht, man werde die Direktion von hier abziehen. Zur „Durchgängigmachung“ des Hauptbahnhofes und zur Schaffung eines großen Zentralbahnhofes im Südosten in den Gailauen ist es daher nie gekommen, obwohl diese Entwicklungsvorhaben zumindest am Papier bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bestehen blieben.
Die große Verkehrsbedeutung der Stadt auch in Kriegszeiten hat Villach und die ausgedehnten Bahnanlagen im Zweiten Weltkrieg zum Ziel häufiger Luftangriffe gemacht, durch die 1944/1945 große Verwüstungen angerichtet wurden. Zum völligen Erliegen des Bahnverkehrs ist es selbst dadurch nicht gekommen, da die Gleisanlagen in vermindertem Umfang befahrbar gehalten werden konnten, wogegen das Hauptbahnhofgebäude völlig vernichtet wurde.Sein Wiederaufbau in den Jahren 1947 bis 1950 war mit ein Symbol für das Wiedererstehen der Stadt. Als 1964 des hundertjährigen Bestehens der Eisenbahn gedacht wurde, waren die schweren Kriegs- und Nachkriegsjahre schon Geschichte und einer Hochkonjunktur gewichen, die den rasant zunehmenden Autoverkehr und seine Bewältigung zum wichtigen Anliegen der Stadt gemacht hatte. Nicht mehr die Bahnbauten, sondern der Straßenbau in seiner ganzen Vielfalt von der Fußgängerzone bis zur Autobahn hat das Geschehen in und um Villach während der nächsten Jahrzehnte bestimmt.
Zur Funktion als Bahnknotenpunkt ist jene als Zentrum des Straßenfernverkehrs hinzugekommen. Im Bewusstsein der Villacher ist die Bahn dagegen längst selbstverständliches Element der Stadt, das räumlich, wirtschaftlich und nicht zuletzt durch die beruflichen Bindungen, die fast jede Villacher Familie hat, der Bezeichnung „Eisenbahnerstadt“ ein erhebliches Maß an Berechtigung verleiht.
(Dieser Text von D.Neumann wurde ähnlich im Villacher Mitteilungsblatt vom 1.6.1989, S.288 f, gedruckt. Über die Villacher Eisenbahngeschichte informiert auch eine 1964 von der ÖBB-Generaldirektion herausgegebene kleine Jubiläumsbroschüre; weiters: G.Zwanowetz, Über Kärntner Eisenbahnbestrebungen im Vormärz und die Entstehung der Bahnlinie Villach-Franzensfeste, in: Neues aus Alt-Villach, 2.Jahrbuch des Stadtmuseums 1965, S.85-98. R.Wurzer, Villach, Versuche eine wohlüberlegten Stadtentwicklung, in: Neues aus Alt-Villach, 32.Jahrbuch des Stadtmuseums 1995, S. 7-85. D.Neumann, Villach – Von der Eisenbahnerstadt zur Digital City, in: Lebenschancen in Kärnten 1900 – 2000, ein Vergleich, hsgb. v. C. Fräss-Ehrfeld; Archiv f. Vaterländische Geschichte und Topographie, Bd.80, Klagenfurt 1999, S 267-281)