Tagebuch einer Tropenreise in Zeiten von „Corona“
KLU – VIE – BKK – CNX / LPQ – BKK – VIE – KLU. Acht Kürzel, die mir 14 Tage Tropenglück verhießen! Endlich weg, Auszeit in Südostasien! Meine Reiseziele waren Chiang Mai, Thailand und nach sechs Tagen Weiterreise nach Luang Prabang, Laos. Wieder einmal war ich als Individual-Reisende unterwegs, also alles selbständig geplant und gebucht. Abflugtermin Dienstag, 10. März 2020.
9. März, Montag: „Corona“ hatte eine gefühlte zwanzig Prozent Medienpräsenz und war noch außerhalb unserer Landesgrenzen. Sicherheitshalber suchte ich auf der Homepage des Außenministeriums nach möglichen Reisewarnungen für Thailand und Laos. Es gab keine, und mein Gepäck und ich waren abreisefertig. Erstmals in meiner Reisegeschichte allerdings registrierte ich mich über die App des Außenministeriums und gab meine Aufenthaltsorte bekannt.
11. März, Mittwoch: Ankunft Chiang Mai. Ich freue mich über die Tropenhitze, den freundlichen Empfang und besonders auf meine Besichtigungstouren. Einmal Schlafen unterm Moskitonetz, und es konnte losgehen. Auf meinem Programm standen Tempel-Besichtigungen, exotisch Essen, mit Menschen Sprechen, ein wenig Shoppen und Touren in entferntere Nationalparks.
Die moderne Kommunikation lässt einen allerdings niemals ganz weg von daheim. Über Hotel-WLAN und Smartphone klopft die Heimat via WhatsApp und SMS an, während man selber bei 39 Grad Außentemperatur, 8500 km entfernt und zeitlich 6 Stunden plus im Restaurant sitzt und auf Chicken Curry und ein kühles Getränk wartet.
Piep, piep, „Plan deine Rückreise, sonst kommst du eventuell nicht mehr nach Österreich!“, schreibt mein Chef. „Ich bin doch erst angekommen!“, denke ich und möchte nicht. Vor mir liegen die schöne Altstadt von Chiang Mai und eine abenteuerliche Weiterreise nach Laos. Außerdem hatte ich eine Ganztagestour in den Doi Ithanon Nationalpark gebucht, auf die ich mich schon sehr freute.
14. März, Samstag: die Tour in die Berge geht frühmorgens los. Piep, piep, „Warnung: Außenministerium rät von allen Reisen ab! Reisewarnung gilt seit 11.3.!“, schickt mir mein Bruder zum Frühstück, und meine Tropenfreude beginnt sich zu trüben. „Ich warte ab. Hier ist nix. Ich fahre jetzt auf Dschungel-Tour“, schreibe ich trotzig zurück.
Im Kleinbus sind wir eine bunt zusammengewürfelte Gruppe mit Menschen aus Holland, den USA, Deutschland, Großbritannien, Pakistan und einer Österreicherin. Beim gemeinsamen Mittagessen kommt erstmals das „Corona“-Thema auf. Der junge Backpacker aus Holland erzählt, dass Vietnam die Grenzen dicht gemacht hat und er nun nicht mehr hinfahren kann. Der Mitreisende aus Pakistan sagt, er hätte die Panik, denn in Thailand nimmt man seit gestern seine Dollarscheine nicht mehr an – aus Angst vor Ansteckung. Ein US-Tourist erzählt, er wollte bereits heimfliegen, aber Amerika lässt seine gebuchte Fluglinie nicht mehr einreisen. Meine Gedanken kreisen: Laos grenzt an Vietnam… ich habe ebenfalls Dollarscheine zum Umwechseln und Bezahlen im Hotelsafe liegen… und würde Österreich meine Thai Airways noch einreisen lassen, wenn ich heimfliege…?
Nie zuvor waren Österreich und Kärnten bei einem Aufenthalt im tropischen Dschungel gedanklich so präsent wie an diesem, meinem 14. März 2020. Während der Rückfahrt im Kleinbus wurde mir klarer und klarer, dass ich meine Laos-Weiterreise wohl stornieren werde und mir einen Heimflug organisieren. Die Deutschen sagen zu mir, ich solle mir keine Gedanken machen und dennoch nach Laos reisen, mein Land würde mich schon herausholen, wenn es schlimmer würde. Sie selber fliegen ja auch noch nach Süd-Thailand ans Meer. Ich fühle mich hin und hergerissen zwischen Vernunft und Leichtsinn. Piep, piep, „Shutdown bei uns ab Montag!“, schreibt mein Bruder, „Grenzen zu Italien, Schweiz, Slowakei und Tschechien werden geschlossen!“
Shutdown! Natürlich kann ich den Begriff übersetzen, aber was das in der Realität bedeutet, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Fest steht, ich würde meine Rückreise organisieren.
15. März, Sonntag: Piep, piep, „Bei uns wird eine Messehalle zu einem Lazarett mit Feldbetten umgebaut“, schreibt mein Bruder und mir steigen die Tränen in die Augen. Ich gehe in die Rezeption und bitte darum, mein Zimmer zu verlängern, bis ich einen Heimflug bekomme. Hernach storniere ich Anreise und Hotel in Laos und bin unendlich traurig. Ich habe Bilder im Kopf von einer Messehalle voller Kranker daheim und bin besorgt um Freunde und Familie. Zeitgleich bekomme ich Nachricht vom Außenministerium. In meinem Gmail-Posteingang steht, das österreichische Außenministerium hätte weltweit Sicherheitsstufe 4 – Hohes Sicherheitsrisiko - ausgesprochen und Reisende seien aufgefordert, umgehend zurückzureisen.
16. März, Montag: Mit dem Hotel-Fahrrad radle ich durch den südost-asiatischen Verkehr ins Büro von Thai-Airways, um einen möglichst raschen Rückflug zu bekommen. Bereits am Eingang wird mir ein Fieberthermometer Richtung Stirn gehalten, und alle Mitarbeiter tragen Masken und Einweghandschuhe. Es herrscht reger Betrieb, viele Touristen wollen wie ich nach Hause. Mein Gespräch mit einem jungen Engländer, der ursprünglich drei Monate durch Asien reisen wollte, nun aber auf einen Flug heim nach Bristol hoffte, ist gefärbt von unserer beider Besorgnis. „Würde es noch Flüge in die Heimat geben? Wenn ja, wann? Und wie wird es wohl zu Hause sein?“
Ich bin an der Reihe. Das Tippen der Thai-Airways-Mitarbeiterin in die Computer-Tastatur erscheint mir endlos. Aber letztendlich hat sie für mich einen Rückflug von Chiang Mai über Bangkok nach Wien tags darauf, am 17.3. Nur „this KLU“, so die freundliche Dame, da könne sie keinen Flug buchen, sie käme einfach nicht ins System. Von Wien habe ich einen Zug, das sei kein Problem, erkläre ich ihr und bedanke mich von ganzem Herzen – nicht wissend, dass in Österreich bereits alle Inlandsflüge gestrichen worden sind. Ich bin schlichtweg nur erleichtert, dass ich es nach Hause schaffen würde. Aber, was würde mich erwarten, in diesem Zuhause? Quarantäne? Krankheit? Feldlazarett? Ich weiß es nicht…
Ich packe meinen Koffer und denke, eigentlich würde ich morgen nach Laos weiterreisen. Abends gehe ich zum Straßenmarkt, um mich gedanklich abzulenken und noch einmal das Gegenteil von „Shutdown“, nämlich buntes Treiben, zu erleben. Corona-Verhaltensregeln sind mir zu diesem Zeitpunkt ja noch völlig unbekannt.
17. März, Dienstag: Die Deutschen schicken mir liebe Grüße aus Kho Phangan, und ich nehme Abschied vom Hotelpersonal in Chiang Mai. Ich werde zum Flughafen gebracht, eine letzte Umarmung zum Abschied – für meine Leute daheim an diesem 17. März bereits undenkbar, für mich eine berührende Geste. Ein letztes Winken, good-bye, I see you next year, und ich bin in der Check-in-Prozedur.
Bei meiner Ankunft in Bangkok sehe ich auf der Anzeige für Departures bereits viele Flüge gecancelt. Panik befällt mich und ich bekomme kaum noch Luft unter der Stoffmaske, die ich mir zuvor gekauft habe. Wie angewurzelt stehe ich vor der Tafel und bewege mich nicht weg. Endlich taucht mein Flug auf: TG 936, Vienna, go to Gate B 16. Am Gate smse ich meinem Bruder: „Bin am Gate. Mein Flieger fliegt, Ankunft morgen 7 h. Bussi“. Er antwortet: „Isa, du hast unglaubliches Glück. Der Flughafen Wien schließt morgen Mittag komplett. Nur mehr Fracht- und Rückholflüge können landen.“
Die Maschine ist voll besetzt, wir heben ab und landen zehn-ein-halb Stunden später in Wien. Ich friere und habe Angst, nicht nach Hause zu kommen. Wir bilden Reihen vor der Passkontrolle und es ist bedrückend still. Nur eine anonyme Stimme von oben wiederholt stetig „Achtung, vermeiden Sie alle sozialen Kontakte!“ über Lautsprecher. Ich fühle mich, als wäre ich in einem autoritären System angekommen und Furcht steigt in mir hoch. Vor nur einer Woche habe ich mein Land verlassen und alle Freiheiten als gegeben gesehen und nun folge ich Lautsprecheraufrufen. „Ich will heim“, denke ich, obwohl mich nur mehr 350 km von dort trennen. Jemand hält uns ein Fieberthermometer Richtung Stirn - das kenne ich schon aus Thailand - und sagt „danke“. Wie in Trance gehe ich zum ÖBB-Schalter in Schwechat und frage, ob es denn noch Züge nach Kärnten gibt. Die Antwort lautet ja. Auf meinen Tickets steht: Flughafen Wien – Wien Hbf. Wien Hbf - Klagenfurt Hbf.
Mein Name ist Isabella Holzer und ich bin gebürtige Klagenfurterin. Ich hoffe, die lieben Villacher:innen sehen es mir nach. Von Zeit zu Zeit verlasse ich die Lindwurmstadt und reise gern in Länder, in denen Drachen nicht in den Sümpfen leben, sondern fröhlich sind und Glück bringen.